1250+2 Jahre Werthhoven

Predigt zum 4. Sonntag n. Trinitatis, 10.07.2022 / (IV.) Joh 8,3ff.

Predigt: Pfarrer Günter Schmitz-Valadier

1250 Jahre (+2), das ist, liebe Gemeinde, natürlich mal eine Hausnummer – das Alter Ihres Ortes, fränkische Siedlung, erste Erwähnung als Pisinheim 770 n. Chr., hat sogar angesichts der fast zwei Jahrtausende der Jesusgeschichten echtes Gewicht. Man soll das Alter ehren.

Im Grunde bin ich ganz froh über die +2, 1250+2 – also, so ein bisschen ein gebrochenes Jubiläum; wir müssen hier heute nichts ganz so hoch hängen. Ein schlichter, evangelischer Gottesdienst reicht … der sucht auch immer nach dem, was bleibende Bedeutung hat, das Zeitlose … oder besser: was die Menschen aller Zeiten bewegt.

Wer gehört dazu?, wäre so eine zeitlose Frage, und wer nicht?
Kann wahrscheinlich nur jeder für sich beantworten, wie willkommen man sich hier fühlt.
Ältere aus dem Dorf erinnern sich noch an eine Bewohnerzahl von etwa 300, mittlerweile sind es etwa viermal so viele. Wer gehört dazu?

Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte. Das würde natürlich in Werthhoven niemals geschehen – Ehebruch kann ich mir hier gar nicht vorstellen, aber die Frage, wer mit dazu gehört, die ist im Grunde für eine Gruppe, ein Dorf ausgesprochen wichtig. 

Wie man sich definiert, wo die Grenzen sind, wer nicht mehr dazu gehört: „Die Sünderin gehört nicht mehr zu uns“, behaupten die Pharisäer und Schriftgelehrten im Tempel.
Mittlerweile gibt es viel mehr Zugezogene als „Ureinwohner“ in Werthhoven, erzählt man mir … und meine Gegenfrage: Ab wann gilt man denn als Werthhovener?, wird, wie ich finde, sehr gnädig und nachsichtig beantwortet: „Die so 20-30 Jahre hier leben“. Solche Toleranz hätte ich den Pharisäern damals gewünscht

„Die Sünderin gehört nicht zu uns“. 
Tja, wer gehört denn zu uns?

Kleines Werthhoven-Quiz, damit alle wach bleiben, was alles zu dieser Ortschaft gehörte:
Ein eigener Gemeinderat mit eigenem Bürgermeister,
zwei Lebensmittelgeschäfte, eine Bäckerei, eine Schmiede, eine Tankstelle, ein Milchgeschäft, eine Schreinerei, ein Schuster, ein Tierarzt, eine Post, Fremdenzimmer, eine Kneipe, etwa ein Dutzend autarker Bauernhöfe ((Nachtrag: Ein Haushaltswarengeschäft)).
Wer erinnert sich an den großen Saal? Musik und Tanz im Januar (!) zum Gelöbnistag des Heiligen Sebastianus. Die Kapelle wie eine Pestkapelle … tatsächlich hat die Pest Werthhoven im 17. Jhdt verschont … die Wasser aber nicht, die waren immer schon Fluch und Segen … die Alten sind nicht so überrascht, die wussten immer, dass aus Werthhoven die Wasserversorgung von Oedingen und Birresdorf gesichert war und dass ein „Pütz“, Feldpütz, einfach eine Pfütze meint, … die am Wasser gebaut haben … und immer mal der Keller volllief.
Man soll das Alter ehren!

Ach, das Quiz, ja, das lautet: Was habe ich in meiner Aufzählung gerade noch ausgelassen? Es sei sogar das Wichtigste in Pissenheim und Werthhoven gewesen, zumindest, wenn die Älteren erzählen. 
Die Alten, das sind die, die sich erinnern können, wie man im Winter die Ahrtalstraße bis zur Kapelle auf Schlitten und großen Eggenschlitten runtergleiten konnte.

Das Wichtigste – hätte ich niemals vermutet, aber drei Originalstimmen: Roswitha, Renate und Edith, die viel überblicken und familiär weit zurückreichen, o.k. eine evangelisch, aber: „Wer 20 bis 30 Jahre hier wohnt“ … alle drei lassen heute grüßen, sind leider verhindert, versichern mir aber felsenfest, was das Allerwichtigste war: die Schule. 

Als die gehen musste und man sich zurückgeworfen sah in die Zeit vor 1860 – bis dahin waren die Pissenheimer Kinder in Berkum unterrichtet worden –, das gab einen echten Aufstand, das war schlimmer als nach Wachtberg zu gehören. 
Eine Schule, wie ich sie mir überhaupt nicht vorstellen kann: Eine Klasse … aber nicht, wie es wieder so ein bisschen modern wird, die vier Grundschulklassen zusammen, sondern acht Jahrgänge, acht Klassen in einer. Wie soll das gehen?

Da kniet Jesus im Tempel und schreibt mit dem Finger auf dem Bo-den. Ich wüsste so gerne, was er da schreibt oder zeichnet; ich wäre so gerne mit dabei gewesen. Seinen Widersachern hatte er einen Satz zugerufen, einen einzigen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Dann bückt er sich und schreibt mit dem Finger auf dem Boden. Er will, dass wir nachdenken. Er gönnt sich Zeit und uns auch. Wir sollen nachdenken, nicht darüber, wer nicht mit dazugehört, sondern wer mit dazu gehört. Wir sollen etwas lernen.
Der Rabbi, der Lehrer, hatte gesprochen in der Schule des Lebens.
Wie soll das gehen? Acht Jahrgänge in einer Klasse! Das hält doch kein Lehrer aus. Doch. Herr Schreyer sagt: „Es ist aus allen was geworden!“
Als die Schule 1969 dicht gemacht wurde, da kochten hier die Emotionen hoch – und die Ruinen der alten Schule (bis 1962) vor der Kapelle stehen wie ein Stachel in der Seele dieses Dorfes, und der Raum der damals neuen Schule, dieser hier, lässt uns heute Gottesdienst feiern.
Da sitzen wir wie die damals im Tempel und Jesus ist unser Lehrer.

„Wer gehört dazu?“ Die Antwort auf diese Frage wird in einem Dorf, in dem man den Alltag teilt, immer komplex bleiben und kein bisschen einfach sein. Wir tun uns auch nicht unbedingt leicht mit Veränderungen, mit Teilen von Zuständigkeit und Verantwortung. Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr pluralistisch ist. Den Zusammenhalt von früher, stark geprägt von der Kirche, gibt es nicht mehr.

Aber auf die Frage: „Wer gehört nicht dazu?“, bekommen wir von unserem Rabbi Jesus eine glasklare Antwort: Dass nicht wir es sind, die das entscheiden. Dass man die entscheiden lassen muss, die dazu gehören wollen oder nicht. Dass wir ein Angebot machen sollen, dazuzugehören. Und uns um die kümmern, die wir für die Schwachen/Unwürdigen halten. Hat dich niemand verdammt? Niemand, Herr. So verdamme ich dich auch nicht. Denn sie will dazugehören!

Es liegen uns Jahrhundert voraus, liebe Gemeinde, und sie prägen uns mit, Menschen und Zeiten, die vor uns waren. Diese Landschaft. Der Blick. Heute stellen wir uns für einen Moment einmal ganz bewusst in diese beeindruckende Ahnenreihe und sagen Danke. 
Die Alten haben´s gewusst, dass Jesus will und möglich macht, dass wir dazu gehören, in der Schule des Lebens. Und dass er uns immer annimmt.

Man soll das Alter ehren.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu Jesus: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, auf dass sie etwas hätten, ihn zu verklagen. Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

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