VOR 150 JAHREN ERHIELT WERTHHOVEN EINE EIGENE SCHULE
- von Frank Hüllen, Niederbachem -
Pisa-Studie und Lehrermangel waren noch kein Thema, als vor 150 Jahren die Volksschule in Werthhoven ihre Pforten öffnete. Dafür hatte man damals mit anderen Problemen zu kämpfen.
Genau genommen reicht die Schulgeschichte des in früheren Zeiten unter dem Namen „Pissenheim“ bekannten Dorfes sogar noch ein paar Jahre weiter zurück. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Dörfer Berkum, Werthhoven und Züllighoven einen gemeinsamen Schulbezirk gebildet. Obwohl Werthhoven unter den dreigenannten Orte der größte war - 1825 hatte man hier 241 Einwohner gezählt, während es in Berkum nur 179 und in Züllighoven 115 waren - , befand sich die Schule in Berkum. Für die Kinder aus Werthhoven bedeutete das einen Fußmarsch von rund 2 km - und das mehrmals täglich, sommers wie winters. Auf die Dauer war dieser Zustand nicht tragbar. Schon lange bestand daher der Wunsch nach einer eigenen Schule.
Das erforderliche Geld dafür war vorhanden, denn als 1773 der Jesuitenorden aufgelöst wurde, hatte man den diesem gehörigen Hof in Werthhoven verkauft und den Erlös dem Schulfonds überwiesen. Der Hof existiert heute nicht mehr. Wo er genau gestanden hat, konnte bis jetzt noch nicht genau ermittelt werden. 1849 schritten die Werthhovener schließlich zur Tat. Am 4. Juni diesen Jahres stellten sie den Antrag auf Errichtung einer Schule. Begründet wurde dies mit der stark gestiegenen Kinderzahl sowie mit dem weiten Schulweg, der größtenteils durch den Wald führe. Die königlich preußische Regierung erteilte daraufhin die erforderliche Genehmigung, machte aber zur Bedingung, dass der einzustellende Lehrer die gleiche Besoldung erhalte wie sein Berkumer Kollege – wobei dessen Gehalt mit 130 Talern pro Jahr allerdings alles andere als üppig war (zum Vergleich: 1863 wurde der jährliche Bedarf einer fünfköpfigen Familie mit 180 Talern angegeben).
Erster Lehrer der neu gegründeten Volksschule wurde der 1823 in Bieth bei Uckerrath geborene Jodokus Engländer. Die Urenkelin Frau Hanni Müller, geb. Engländer, wohnt heute in der Ahrtalstraße 22. Über die Umstände seines Amtsantritts hat er folgenden Bericht hinterlassen: „Im Jahre 1850 wurde im hiesigen Dorfe eine Schule errichtet, wobei ich (J. Engländer) im Monat November desselben Jahres angestellt wurde. Durch den zeitigen Herrn Schulpfleger Weber, Pfarrer zu Grau-Rheindorf, wurde ich eingeführt. Das Schullokal war bei Anton Weber, Ackerer hier, welcher in der Dorfstraße wohnte. Heute: Ahrtalstraße 41. Statt Pulte wurden Tische gebraucht, welche von den Nachbarn geliehen wurden.“ Vier Jahre dauerte dieses Provisorium. Dann war 1854 das am Platz vor 4 der Kapelle errichtete Schulhaus bezugsfertig, heute: Kapellenstraße 2. Engländer erinnerte sich: „Nun wurde eingezogen. Jeder half tragen, Kinder, Männer, Frauen und Greise. Die Gemeindebewohner hatten eine große Freude, endlich eine eigene Schule zu haben. Viele derselben versammelten sich im Schulsaal und blieben dort bis zum Abend zusammen. Bei dieser Gelegenheit ließ ich etliche Lieder von den Kindern singen. Und nun gingen wir befriedigt nach Hause.“
Die Werthhovener konnten mit Recht stolz auf ihre Leistung sein. 1.200 Taler waren für den Schulbau aufgebracht worden. Die Schule wurde „einklassig“ geführt. Das bedeutete, dass alle acht Schuljahre gemeinsam in einem Raum von knapp 49 qm (7 x 7 Meter) unterrichtet wurden - in Spitzenzeiten waren das mehr als 50 Kinder, die die Aufmerksamkeit des Lehrers beanspruchten. Auf dem Stundenplan standen „Buchstabieren nach der Lautmethode, Lesen, Schreiben, gewöhnliches und Kopfrechnen, Sprachkunde, Anfangsgründe der Naturgeschichte, Gesanglehre und Religion.“ Dazu kamen nach einer Notiz von Engländer „Freiübungen nach dem Leitfaden“ sowie „Unterricht in weiblichen Handarbeiten“.
Der Klassenraum befand sich im 1. Stock des stattlichen Fachwerkbaus, während im Erdgeschoß die Dienstwohnung des Lehrers untergebracht war. Das Inventar war zunächst bescheiden. Es gab 16 Pulte und Bänke, zwei Tafeln, ein Lehrerpult, einen Ofen nebst Zubehör, eine Stimmgabel, eine Wandkarte von Palästina sowie jeweils ein halbes Dutzend Bücher zum Lesen, zum Rechnen und zur biblischen Geschichte. Als Schulhof diente der Bereich zwischen der Wiese an der Kapelle und dem ehemaligen Saal Velten. Um das bescheidene Gehalt etwas aufzubessern, gründete Jodokus Engländer gemeinsam mit seiner Frau, Anna Catharina Weber der Tochter eines wohlsituierten Pissenheimer Landwirts, an der heutigen Ahrtalstraße einen Kolonialwarenladen (das Gebäude des Kolonialwarengeschäftes steht noch heute schräg gegenüber der Einmündung des Weißen Wegs, Ahrtalstr. 32).
Der bis zu seinem Tod 1886 in Werthhoven wirkende Lehrer Engländer ist bis heute unvergessen. Auch einige seiner Nachfolger erwarben sich bleibende Wertschätzung. Lehrer Milz beispielsweise, der in den 1920er Jahren hier tätig war, machte sich v. a. um den damaligen „Jungmännerverein“ verdient. Lehrer Schmitz gewann sich Sympathien mit der Einrichtung einer „Waldschule“, wo in den Sommermonaten der Jahre 1933 bis 1938 die Kinder „in Gottes freier Natur“ unterrichtet wurden.
Nach Ludwig Hubert schließlich, der von 1946 bis 1959 Lehrer in Werthhoven war, wurde vor einigen Jahren sogar eine Straße benannt.
Mehr als 100 Jahre diente die „alte Schule“ dem Unterricht der Dorfjugend. 1962 konnte dann das neue Schulgebäude am Weißen Weg eingeweiht werden. Bis 1965 blieb es aber bei der Unterrichtsform „einklassige Volksschule“. Dann stieg die Kinderzahl auf 47 und es wurde eine Lehrerin als zweite Lehrkraft an die Schule versetzt. So konnte von der Zeit an in zwei Klassen unterrichtet werden. Heute müssen die Schüler aus Werthhoven wieder den Weg nach Berkum auf sich nehmen. Die Schulreform des Jahres 1969 bedeutete auch für die Volksschule Werthhoven das Aus. Nach den Worten des langjährigen Schulleiters Fritz Schreyer herrschte damals wohl die Auffassung, dass die kleinen Dorfschulen ihre Aufgabe, „junge Menschen für eine moderne Gesellschaft heranzubilden“, nicht mehr erfüllen könnten. Die Schule am Weißen Weg dient heute als „Pössemer Treff“ dem Dorfleben, während die alte Schule mittlerweile in privater Hand ist.
Das Bild zeigt die damals 50 jährige Elisabeth Huber beim Wäscheaufhängen auf der damaligen Wiese vor der alten Schule. Die Gattin vom Lehrer Hubert ist mit stolzen 88 Jahren 1990 verstorben.
Ludwig Hubert unterrichtete von 1946 bis 1959 in der Schule. Nach ihm wurde kürzlich der Ludwig Hubert Weg benannt, der als Stichstraße von der Ahrtalstraße abzweigt.